Brautag bei der Brasserie Cantillon

Auf einer Brüssel-Reise sollte die Brasserie Cantillon ganz oben auf der Liste stehen. Betritt man die von außen unscheinbar wirkende Brauerei in der Nähe des Gare de Bruxelles-Midi an einem Brautag, durchdringt ein herrlicher Geruch die Nase. Fruchtig und wunderbar komplex. Es ist einer der letzten Tage im Jahr, an dem dieser Geruch die Brauerei erfüllen wird. Während der Shop mit TouristInnen und Bierfreaks gefüllt ist und der kleine offene Gastraum fast überquillt, rotiert Chefbrauer Jean van Roy durch die engen Gänge der Brauerei.

Barmann Berto hält den Betrieb am Laufen.

Wir genießen gerade ein Glas Gueuze, als van Roy vorbei huscht und anmerkt, dass wir ihm in den dritten Stock folgen sollen. Die Würze wird jeden Moment ins Kühlschiff gepumpt. Wir laufen vorbei an langen Wänden voller Flaschen und Maschinen aus dem frühen 20. Jahrhundert, hinauf in den dritten Stock des engen, alten Gebäudes. Vor dem Kühlschiff (“Koelschip”) tummeln sich bereits aufgeregte Fans. Van Roy klopft uns auf die Schultern, lacht verschmitzt und verschwindet so schnell, wie er aufgetaucht ist. Die Zeit ist knapp an so einem Brautag. Nach ein paar Sekunden fließt die frische Bierwürze in das bis zu 75 Hektoliter fassende Kühlschiff, um dort über Nacht offen abzukühlen. Über ihr nur noch der Dachstuhl.

Das Kühlschiff wird nach dem Abpumpen mit Seifenlauge gereinigt.

Die Brasserie Cantillon setzt keine Hefe bei, sondern verlässt sich der Lambic-Tradition folgend auf Wildhefen und Mikroorganismen, für die es ein ganz spezielles Klima braucht. Brauereien, die traditionell so ihre Würze kühlen und “infizieren” lassen, brauchen dafür die richtigen Bedingungen. Das Klima muss am Brautag ebenso passen wie nachts, wenn die Würze kühlen muss. Falsche Temperaturen führen zu unerwünschten Aromen. Dementsprechend runzelt van Roy besorgt seine Stirn, wenn er über die immer kürzere Zeit, in der die Bedingungen passen, spricht (siehe Guardian). So musste etwa im Jahr 2015 die Arbeit von drei ganzen Brautagen wegen zu hoher Temperaturen während der Kühlung entsorgt werden (ebenso Guardian). Erwärmt sich Brüssel durch fortlaufende Urbanisierung und Klimawandel weiter, wird das Wetter weiterhin extremer, ist mit einem Rückgang der Produktion zu rechnen.

Unzählige Fässer voll Lambic reifen im ersten Stock der Brauerei.

Schon zuvor hatte Cantillon, wie so viele andere Brauereien und Lambic-Produzenten, mit akuten Problemen zu kämpfen. In den Sechzigern sank die Nachfrage an Lambic stetig. Um neue finanzielle Mittel zu lukrieren und das Interesse für Gueuze wieder zu wecken, wurde die Brauerei in den Siebzigern in ein lebendiges Museum, das “Museum van de Geuze”, umgewandelt. Auch heute noch kann man die Brauerei frei oder auf einer geführten Tour besuchen, die liebevoll wie aufwändig erhaltenen alten Geräte begutachten und ist immer live dabei, wenn in der Brauerei gearbeitet wird. Innerhalb der Öffnungszeiten ist sie ein Magnet für Einheimische ebenso wie für TouristInnen. Sie kaufen Kartons voll Gueuze und Flaschen des soeben für dieses Jahr veröffentlichten Batch „Vigneronne“, ein Lambic-Blend der auf Muskattrauben gelagert wurde und dessen Verkauf im Jahr auf drei Flaschen pro Person beschränkt ist. Hatte Cantillon früher mit sinkenden Absatzzahlen zu kämpfen, müssen nun KundInnen abgelehnt werden, da die Nachfrage nicht erfüllbar ist. Deshalb wurde in den letzten Jahren auch in einen zweiten Lagerort investiert. Effektiv wurde die Produktion dadurch zwar verdoppelt – bleibt aber nach wie vor weit hinter der hohen Nachfrage zurück.

Cantillon ist in den USA, Japan und quer durch Europa ein beliebter Name. Doch die Brauerei, bei allen neueren Experimenten doch tief in der Tradition ihrer Stadt verwurzelt, hat sich dagegen entschieden dieser Nachfrage gerecht werden zu wollen. In Brüssel ist Cantillon ein Name, den jedeR kennt. Mit dem „Cuvée Saint-Gilloise“ widmet man so zum Beispiel einer legendären lokalen Fußballmannschaft einen eigenen Lambic-Blend. Auf einer Feier des Fanclubs der Mannschaft bekommen wir von van Roy ein paar Pappbecher davon in die Hand gedrückt. Schon in der Nase ist klar: Das ist Cantillon.


Der Artikel erschien zuerst am Blog von craftbierfest.at unter dem Titel Cantillon – Sehnsuchtsort für Geeks“. Für die Bearbeitung danke ich Kevin Reiterer, für erstes Lektorat Mateja, Bettina und Georg.

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Klemens

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